10
Sep
2007

Tuxtla, Chacahua, Puebla

Und viel zu viele Stunden im Bus...

Herzliche Grüsse aus Puebla!
Heute ist ein besonderer Tag. Ich habe gerade eben erfahren, dass unser Volti, der Haus- und Hof-, ja man muss fast sagen Dorfhund in Südtirol gestern begraben wurde. Es ist daher gerade etwas schwierig über vergangene Erlebnisse zu erzählen, wie schön sie auch waren, anstatt über die Kurzlebigkeit und den Sinn der Inkarnation auf der physischen Ebene zu philosophieren. Doch ich glaube, ich schaffe das mit der schwanzwedelnden Freudigkeit eines Hundes, der ganz den Moment der einen Streicheleinheit lebt.

Doch nun zurück wo wir herkamen, nach SCdlC, San Cristóbal de las casas, Chiapas, México. Gleich an jenem einen Tag des letzten Eintrags geriet ich ungeplant in eine höchst interessante Situation. Ich erkundigte mich bei der Tourismusinformation auf dem Zócalo, dem Hauptplatz, wo ich denn am Besten in die Natur pur komme. Man schickte mich per Minibus zu einem kleinen, unscheinbaren Naturreservat mit Baumlehrpfad, der allerdings meist aus Fragen ohne Antworten bestand. (Befühle das Blatt, warum ist es so flaumig? etc.) Ich erfand lustige Antworten und war noch nicht einmal warm geworden, da stand ich schon am höchsten Punkt des Weges und sollte wieder talwärts geschickt werden. Leider sah die alte Trapperseele hinter der kleinen Holzbarrikade einen Holzweg weitergehen. Und da ich mich gleich an Heidegger erinnert fühlte, dachte ich mir, dass auch dieser Holzweg ein Weg ist, der ins Holze führt und kein Irrweg und folgte ihm. Über mehrere Hügelkuppen und einen alten Ritualplatz sowie einen kleinen Vulkan hinweg ging es durch den verwunschenen Regenwald des Hochlandes. Das besondere an diesen Wäldern ist, dass einige Pflanzen, wie etwa Moos, in die "falsche" Richtung wachsen. Da die vorbeiziehenden Wolken sozusagen quer reinregnen, richten sich vor allem niedrig wachsende Pflanzen auf diesen Sonderregen ein und nutzen ihn. Das Betrachterauge kriegt kuriosen Wachstum präsentiert.
Am Ende des verwachsenen Pfades, der manchmal nicht mehr als ein paar alte Fussspuren war, stiess ich auf einen breiteren und benutzten Weg. Leider konnte ich das gebrochene Spanisch einer handgemalten Hinweistafel nicht verstehen und ging munter weiter. Ich kam an einen überdachten Gebets und Opferplatz der mit gescnittenem Gras ausgelegt war. Kerzen russten vor drei Holzkreuzen, die von "Tasen" (buschigen Ästen von einem Nadelbaum) und Blumenornatus beinahe vollkommen verdeckt wurden. Ich setzte mich nahe des Platzes auf einen Baumstamm und schrieb im Sonnenlicht vor mich hin als zwei Jungs daherkamen. Ich bemerkte schnell, dass meine Präsenz unerwartet war und ich argwöhnisch gemustert wurde. Nach einem längeren Gespräch stellte sich heraus, dass die beiden arbeitslosen Indios für eine Messe hier waren, eine Zelebration, die mit dem "Tempel" im Dorf nichts zu tun hat. Eine Prozession würde bald hierherkommen. Man glaubte, ich sei ein Zapatist und war in leichter Furcht. Als ich am Tag darauf dann tatsächlich zu den Zapatisten ging, erfuhr ich, dass ich den ganzen Tag auf der Grenze zwischen den autonomen Gebieten und den mexikanischen Dörfern gewandert war und dass es tatsächlich eine politisch bedingte Argwohn zwischen Dörfern der EZLN (Ejercito Zapatista de Liberación Nacional) und denen des PRI (Partido Revolucionario Institucional -lange Zeit alleinherrschende Partei Mexikos) gibt. Auf meinem Weg hinunter nach San Lorenzo Zinacatan (in der Kirche das glorreiche Schild: Es ist verboten Hühner während des Gebets zu töten) traf ich an zwei Orten Gruppen von Schamanen, die mit der Hilfe von Mezcal und rituellen Gesängen Riten an den Kreuzen vollzogen. Im Gegenteil zu der Verschlossenheit und Striktheit die ich von katholischen Prozessionen kenne, ging es hier recht locker zu. Während einige weitersangen, unterbrachen andere ihr Gebet für ein kurzes Gespräch. Ich war anscheinend der einzige Ausländer in ein paar Kilometern und musste ordentlich ausgefragt werden ;)

Das mit dem Ausfragen, das wiederholte sich tags darauf, als ich in das Zapatistendorf Oventik nahe San Cristóbal wollte. Nach dreifacher Befragung nach Herkunft und Ziel des Besuchs durch maskierte Herren und Damen der Bewegung sass ich in einer weiteren Holzhütte und sollte mich mit einem maskierten Mann und einer ebenfalls vermummten Frau, beide barfuss und müde, unterhalten. Erst wurde mir kurz über die EZLN gelehrt und dann wurde mir irgendwann das Wort erteilt. Ich durfte Fragen stellen. Da ich mich nach wie vor etwas unwohl fühlte, vor Vermummten zu sitzen, waren meine Fragen erst recht harmlos (was die Antworten nicht kürzer machte), doch als ich zum zehnten Mal hörte, dass der Kampf hart und langwierig ist, man aber langsam und sicher fortschreitet, da hatte ich genug und musste doch mal ganz frech fragen, wo denn der grosse Unterschied zwischen ihrem Dorf und dem daneben sei... Die Antwort war dann besonders lang.
Ich betrachtete, als ich für unbescholten oder unwissend abgestempelt worden war, unbeaufsichtigt das Dorf und die vielen Murales, die mich wieder an Cuba erinnerten. Propagandakunst in Farbenfröhlichkeit. Bevor ich wieder auf Wanderschaft ging, kaufte ich noch ein wenig an handgemachten Kleinigkeiten, schon allein der Unterstützung des Mutes zur Autonomie wegen.

San Cristóbal ist im Übrigen eine Stadt, die mir in besonders guter Erinnerung bleiben wird. Nicht nur, weil ich hier eine mexikanisierte Version von Lorcas "La casa de Bernarda Alba" zu sehen bekam. (Ein Stück, das ich bereits im Einführungskurs spanische Literatur und in einer Probe einer deutschen Adaptation in Südtirol geniessen durfte). Nein, auch und im Besonderen, da ich durch Esben, einem Dänen der ebenfalls in der Posada Doña Rosita untergekommen war, zu einer Lesung kam, bei der jedermann unangemeldet einsteigen konnte. Da ich mit der indigenen Autorin Xmal Méndez am Tisch sass, die einiges Höhrenwertes zum Besten gab, war das Mikrofon in Reichweite und nachdem ich meinen Frust über einen lautstarken nicht-zuhörenden Tisch mitten im Raum zu Papier gebracht hatte, las ich mein erstes Mal auf Spanisch vor Publikum. Natürlich mit nicht gerolltem R und auch sonst wohl der ein oder anderen Lücke, aber dennoch und mit Applaus und einigen späteren Zustimmungen der anderen Poeten. Leider. Leider hat das nichts daran geändert. An dem Tisch in der Mitte meine ich. Die haben das gar nicht aufgenommen und weiter gequatscht und gelärmt. Ich habe mich trotzdem vieeel besser gefühlt. Endlich mal wieder ein wenig Adrenalin. Endlich wieder Öffentlichkeitsluft. Ich freue mich auf den deutschsprachigen Raum und seine Bühnen, auf die ich sehr schnell wieder klettern will.

Von San Cristóbal bin ich dann - Abschiednehmend von einer Schönheit namens Carmen im Bar Revolución und dem Dänen - nach Tuxtla Guitierrez, der Hauptstadt Chiapas. Dort hielt ich mich allerdings nur den halben Tag auf. Ich ging in den Zoo. Ja. Ohne Witz und ohne Dame an der Seite. Ich ging einfach mal so in den Zoo, weil es hiess, dies sei der Beste überhaupt und generell. Was die Haltung der Tiere angeht, so bin ich in den meisten Fällen ganz der Meinung der Werbung der Tourismusindustrie. Der Zoo ist was Artenvielfalt und Lebensraum angeht eine Wundertat. Leider sind manche Käfige so gross, dass man die Tiere gar nie zu Gesicht bekommt. Der berühmte Jaguar hinter den Bananenblättern.. Teilweise fühlte ich mich wieder an den kleinen Prinz und die Schlange mit dem Elefanten im Bauch erinnert (ein Bild, das Saint-Exupéry anscheinend von der doppelgipfeligen Schönheit des von mir bestiegenen Vulcano San Pedro am Lago Atitlán hat).

Abends nahm ich dann einen Bus nach Oaxaca. Ebenfalls eine sehr schöne Stadt mit beinahe gleich viel Livemusik wie SCdlC und mindestens genausoguter heisser Schokoloade. Zwei Tage im Hostal Luz de la Luna, viel Regen und die Bekanntschaft mit einigen Franzosen und den kulinarischen Köstlichkeiten der Region und schon ging es -ein letztes Mal- an den Strand.

Eine böse Nachtfahrt zweiter Klasse mit dem falschen Sitzplatz später (ganz vorne, wo ab halb fünf Leute zu und ausstiegen und ich die ganze kurvige Fahrt lang kurz davor war aus dem Sitz zu fliegen), musste ich mich entscheiden ob Surfer Paradies oder Natur pur. Ich entschied mich für Zweiteres und gelangte mit Colectivos, Bus, Boot und Pickup nach Chacahua. Eine Insel und Lagune mit cabañas am Strand. Worte sind leider etwas kurz gegriffen, ich hoffe noch ein paar Fotos nachreichen zu können, die ein Römer, der kein Wort Spanisch oder Englisch, nein nicht einmal Italienisch sondern nur Romano spricht, gemacht hat. Eine äusserst amüsante Bekanntschaft an diesem ausgestorbenen Ort. Ich schwamm ausgelassen in den Riesenwellen und musste einige Male um den Landgang kämpfen. Doch diese Riesenmacht, dieses Schaukelpferd in wässrig, dieses ewige Rollen und Rauschen hat es mir angetan. Nach vier Tagen im Freiflug zwischen Hängematte, Wellen und frischestem Fisch hiess es Abschied nehmen. Bei Regen.

Ich hatte schliesslich meiner mexikanischen Bekanntschaft Ana versprochen noch in Puebla vorbeizuschauen bevor ich nach DF zurückkehre, meiner letzten Station, das dritte Mal auf dieser Reise. Hier sitze ich nun bereits einen Tag länger als geplant und werde von Ana und ihrer Mutter fremdengeführt (nein Jungs, keine Leisereiterin wie ihr sie euch ausmalt;) Ana und ihren Bruder, der übrigends hervorragend Bass spielt, kenne ich aus der Tour nach Bonampak und Yaxchilan. Zwischen Lachen, Essen und dem steten Spiel zwischen Sonnenschein und Wolkenbruch vergeht die Zeit in Puebla. Morgen werde ich wohl weiterziehen.
Und ob ich die nächsten Zeilen "hier" schreibe oder schon wieder "dort", das weiss ich noch nicht.

Nur das Beste!
Ich schicke sol poblano und viele Nationalfarben, denn hier in Mexiko ist der September Nationalmonat und am 15. wird es richtig heftig....

euer dAn in mexikaaan
dAn

Gerade eben in Mexiko

Eine Reise, einige Monate, viele Geschichten

Aktuelle Beiträge

Im glad I now signed...
Hi, everything is going perfectly here and ofcourse...
potengapower.at (Gast) - 14. Sep, 23:41
ochhh schade...
...dass mich der zufall mit ordentlich zeitverzögerung...
kerstin (Gast) - 19. Aug, 15:13
AUS STELL UNG 2
Südtirol lässt grüßen! Am Freitag 25.07.08 ist es...
-dAn- - 23. Jul, 19:26
AUS STELL UNG
Es ist soweit! Die Ausstellung zum Blog im HEI in München...
-dAn- - 2. Apr, 10:12
nach E.N.D.E. kommt A.N.F.A.N.G.
Lieber dada, noch mal einhalb monate nach deinem abschluss,...
Kathita (Gast) - 9. Jan, 03:22

Archiv

September 2007
Mo
Di
Mi
Do
Fr
Sa
So
 
 
 
 
 
 1 
 2 
 3 
 4 
 5 
 6 
 7 
 8 
 9 
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
23
24
25
26
27
28
29
30
 

Mein Lesestoff


Roberto Bolano
Los detéctives salvajes


Mario Benedetti
Canciones del que no canta

Suche

 

Status

Online seit 6257 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 14. Sep, 23:41

Credits

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Cuba
Guatemala
Jamaica
Mexico
Vorbereitungen
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren